Wappen von Wedtlenstedt

Gemeindedirektorin Liselotte Bock

Zarte Finger knüpfen die Fäden der Dorfverwaltung.
Zeitungsbericht über die Wedtlenstedter Gemeindedirektorin Liselotte Bock,
erschienen in der Braunschweiger Zeitung am 30. Oktober 1951.

Wedtlenstedt ist mit seinen rund siebenhundert Einwohnern eine Recht ansehnliche Gemeinde im Westteil des Landkreises Braunschweig. Seit über fünf Jahren liegt das Geschick des Dorfes zu einem nicht geringen Teil in zarten Frauenhänden. Die Wedtlenstedter fühlen sich wohl dabei. Liselotte Bock ist nicht allein der erste weibliche Gemeindedirektor in der langen Geschichte des Dorfes. Sie ist auch zugleich die letzte der sieben Gemeindedirektorinnen, die vor Jahren in einige der 77 Ämter des Landkreises Braunschweig gewählt wurden.

Als im Frühjahr 1946 Wedtlenstedts Bürgermeister starb, setzten sich die zehn Gemeinderatsmitglieder zusammen, um einen Nachfolger zu wählen. Es ging ihnen nicht allein um den leeren Sessel des Bürgermeisters; zum erstenmal mußten sie auch einen Gemeindedirektor bestimmen, den es bislang in der deutschen Gemeindeverwaltung noch nicht gegeben hatte. Der Posten wurde ausgeschrieben und fünf Gesuche gingen ein. Vier davon stammten von Männern der Gemeinde Wedtlenstedt, in dem fünften stand: Liselotte Bock, gebürtige Hannoveranerin, Beruf: Bankbeamtin, in Dessau ausgebombt, bei Kriegsende nach Wedtlenstedt verzogen, Unterkunft beim damaligen Bürgermeister, während seiner Krankheit, Übernahme der Geschäfte für ein Jahr.

Die Gemeinderatsmitglieder lasen, diskutierten, wägten ab und wählten: Neun der zehn Stimmen fielen auf Liselotte Bock. Am 30. April 1946 trat sie ihr neues Amt an. „Man sollte mehr hören denn reden” steht auf einem Schildchen über dem Schreibtisch der Gemeindedirektorin, dem man die ordnende Hand der Hausfrau ansieht. Der Spruch ist in den fünf Amtsjahren zum Leitspruch der energischen Frau zwischen Stempelständer und Aktenmappen geworden. Es war kein leichtes Arbeiten für Liselotte Bock gewesen, damals, noch vor der Währungreform, als zwei paar Schuhe unter siebenhundert Einwohnern verteilt werden mußte. Es gab böse Worte und Tränen. Nicht nur bei den Besuchern.

Inzwischen hat die Frau Gemeindedirektorin alle Fäden in der Hand und sie versteht es, behutsam und doch zielbewußt an ihnen zu ziehen. Dreimal in der Woche ist Sprechstunde in der kleinen Amtsstube, aber meist kommen die Besucher zwischen den Terminen. Zehn Ratsuchende sind es etwa pro Tag. Für die Berufstätigen unter den Einwohnern hat Liselotte Bock inzwischen Sondersprechstunden nach 20 Uhr eingerichtet. Außerdem arbeitet sie in den Gemeinderats-Ausschüssen mit, so daß ihr Tag von morgens bis abends reichlich ausgefüllt ist. Sie bearbeitet Anträge auf Interzonenpässe, hilft selbst mit beim Ausfüllen von Formularen, stellt Führungszeugnisse aus und berät bei Invalidenversicherungen.


rechts: Gemeindedirektorin Liselotte Bock Zweimal im Jahr setzt sie Zahl unter Zahl für das Statistische Landesamt, viermal jährlich bearbeitet sie die Viehzählung und ist daneben noch Mutter der Gemeinde und Beichtvater vieler Sorgen. Vor einigen Tagen kam ein Einwohner zu ihr, der sich über seine Frau beklagen wollte. Er stieß auf eine verständnisvolle Zuhörerin. „Ich gebe allen eine Hoffnung und vermittle, wo ich kann”, meint Frau Gemeindedirektorin lächelnd, während sie die Protokolle der letzten Ausschußsitzungen ins Reine überträgt.

Im nächsten Frühjahr ist ihre Amtszeit offiziell abgelaufen. Sechs Jahre hat sie dann der Gemeinde vorgestanden, drei Bürgermeister wechselten in der Zeit ihre Sessel. Und wenn man die Wedtlenstedter fragt, hat man den Eindruck, als seien sie sehr zufrieden, daß bei der Verwaltung der Gemeinde eine Frau ihren Mann steht.