Wappen von Wedtlenstedt

Mein liebes Heimatdorf Wedtlenstedt

Zeitzeugenbericht, niedergeschrieben am 17. März 1950 von Ursel Zimmermann geb.Burgdorf.
Der Originalbericht wurde nach Renovierungsarbeiten 1950 dem Kugelkopf des Kirchturmes beigelegt.

Als unser alter Pastor Grote 1926 in den Ruhestand ging und nach Vechelde zog, war ich noch ein ganz kleines Mädel. Sein Nachfolger war Herr Pastor Bosse, der 12 Jahre unser Pfarrer war. Als Herr Pastor Bosse zu uns kam, war der Kirchenbesuch noch gut, aber er wurde von Jahr zu Jahr weniger. Von 1933 bis 1945 war der Kirchenbesuch trostlos. Es waren immer nur die selben Familien, die treu zu ihrer Kirche standen und auch die Gottesdienste besuchten. 1939 verliess dann unser guter Pastor Bosse Wedtlenstedt. Er hat hier viel Leiden müssen. Man hat Herrn Pastor Bosse und Frau sehr viel Schwierigkeiten bereitet. Die zuerst seine guten Freunde waren sind später seine größten Gegner geworden. Man brachte es sogar fertig, ihm seine Seelsorgearbeit hier ganz zu verleiden.
" Irret Euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten ! "

Im sogenannten dritten Reich haben wir von 1933 bis 1939 eine gute Zeit verlebt. Es gab Arbeit in Hülle und Fülle. Jeder konnte sich mit seiner Hände Arbeit sein gutes Brot verdienen und dabei ein sehr gutes Leben führen. Arbeitslose gab es nicht. Viele Vergünstigungen waren eingeführt, z.b verbilligte Fahrten in die Theater und vor allen Dingen die schönen Kraft durch Freude - Fahrten. Jeder Arbeiter, überhaupt alle Menschen, die Lust hatten eine schöne Reise zu machen, konnten z.B. für 50 RM mit dem KdF-Dampfer nach Madeira reisen für ca. 4 Wochen. Es gab zu dieser Zeit auch verschiedene Jugendorganisationen und gerade durch sie wurde die Jugend immer mehr von der Kirche abgewendet. Es kam soweit, dass in den Schulen Religionsunterricht überhaupt nicht mehr erteilt wurde, die Jugend wußte nicht einmal was Religion überhaupt war. Der Schritt ins Leben - die Konfirmation war unmodern geworden. Man brauchte ja die Kirche nicht mehr, man konnte ohne sie leben. An der Stelle von Konfirmation trat dann die Jugendweihe unter der Hakenkreuzfahne, Taufen und Trauungen wurden so gehandhabt. Es war eine traurige Zeit für die Kirche, niemand wollte etwas von Jesus und der Kirche wissen.

Die Kriegsjahre 1939 - 1945.
Am 1. September brach dann der furchtbare zweite Weltkrieg aus. Die Ersten, die aus unseren Dorfe in den Krieg ziehen mussten, waren unsere schmucken Pferde. Tränen rollten über die Wangen, als sie aus den Ställen und dann vom Hofe gezogen wurden. Noch trauriger war uns zu Mute, als unsere Verlobten, Gatten, Väter, Söhne und Brüder in den Krieg ziehen mussten. Unsere Eltern wussten ja was Krieg heisst, wir mussten es aber im Laufe der nächsten Jahre erst erfahren. Vor dem Krieg hatte unser Dorf 280 Einwohner, während die Einwohnerzahl im Kriege durch den Stichkanal und Schleusenbau auf 340 Einwohner anstieg. In dieser Zeit hatte Pastor Dodt aus Bettmar in Verbindung mit Herrn Pastor Gropp aus Denstorf unsere Kirche zu betreuen. Der Kirchenbesuch war dann so schrecklich zurückgegangen, dass Herr Pastor Gropp des öfteren keinen Gottesdienst halten konnte, weil nicht ein einziger Mensch in der Kirche war. Mir selbst ist es passiert, dass ich mit Herrn Pastor Gropp einige Mal allein in der Kirche war. Nachbarn kamen zu uns und fragten, ob wir am Sonntag in die Kirche gehen, dann wollten sie sich anschliessen, da sie Angst hätten allein dort zu sitzen. Wir hätten doch alle Grund gehabt in die Kirche zu gehen, um die Hände zu falten und für unsere Brüder draussen in den Schützengräben zu beten.

In der Nacht zum 19. Mai 1940 war über Wedtlenstedt das erste feindliche Flugzeug zu hören. Viele Wedtlenstedter haben es wohl kaum gehört. Meine Eltern standen auf dem Weinberg, vor unserem Hof und fanden es schrecklich, dass nun auch feindliche Flugzeuge über Deutschland sein konnten. Später haben wir diese Flugzeuge zur genüge kennengelernt. Durch Sirenengeheul wurden sie uns Tag und Nacht angekündigt und holten uns immer wieder aus den warmen Betten in die kalten Keller oder unsere Bauern von den Feldern. Bis dann eines Nachts unsere liebe alte Stadt Braunschweig durch Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde. Es war in der Nacht zum 15. Oktober 1944. Alle Wedtlenstedter standen am Dorfausgang und sahen tieferschüttert unsere liebe alte Heimatstadt sich in ein Flammenmeer verwandeln. Unser kleines Wedtlenstedt ist Gott sei Dank von Volltreffern verschont geblieben. Nur einmal ist eine Luftmine ca. 500 Meter südlich der Gärtnerei (Gärtnerei war gegenüber dem DGH, Denstorferstrasse) heruntergegeangen, wodurch viele Häuser und Scheunen abgedeckt wurden. Viele Fensterscheiben, auch die der Kirche samt dem Rahmen, wurden zerstört.

Viel Leid zog damals schon in manches Haus von Wedtlenstedt ein. Viele bekamen die Nachricht gefallen für Deutschland", auch viele die Nachricht "vermisst". Genau wie im 1.Weltkrieg blieb auch unser Haus in diesen Kriege nicht von einer traurigen Nachricht verschont. Am 22. September 1944 bekam ich die traurige Nachricht, dass mein lieber Mann seit dem Juni 1944 vermisst wurde ( Rußland). Seit diesem Tage habe ich kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten.

Besetzung 1945: Am 8. April 1945 bekamen wir plötzlich Deutsche Soldaten zur Einquartierung. Östlich des Stichkanals wurde eine Verteidigungsstellung gebaut. Zum Schrecken der Einwohner von Wedtlenstedt hiess es, der Stichkanal wird Hauptkampflinie, was aber nach einer Stunde widerrufen wurde. Inzwischen war der Amerikaner schon bis Peine vorgestoßen. Am 10. April 1945 mittags 12.00 Uhr wurden die Brücken über dem Stichkanal gesprengt. Auch unsere Brücke in der Feldmark "Auf der Heide" war darunter. Bei uns lag ein Offizier, der uns immer die neusten Nachrichten überbrachte. Am 10. April 1945 nachmittags 15.00 Uhr hiess es plötzlich, der Ami ist schon mit vier Panzern im Lazarett Vechelade, in einer halben Stunde kommt vom Amerikaner ein Parlamentär, um in Braunschweig mit deutschen Offizieren zu verhandeln. Ich eilte schnell mit meinem Feldstecher zum Hause von Hermann Ehlers. Durch mein Glas konnte ich genau beobachten, dass tatsächlich vier Panzer am Lazarett Vechelade standen. Dann hiess es : "Jetzt kommt der Parlamentär", und richtig er kam, ein grosser Amerikaner mit verbundenen Augen und aufgeplanztem Seitengewehr, geführt von zwei verwundeten deutschen Soldaten aus dem Lazarett, die beide ein weisses Tuch um den Kopf trugen und eine weisse Jacke anhatten. An der Ecke von Friedrich Behme Nr. 1 wurde der Parlamentär in ein deutsches Wehrmachtsauto gebracht, und einer der deutschen Soldaten fuhr mit nach Braunschweig. Nach einer Stunde wurde er wieder nach Vechelade in derselben Weise zurückgeführt.

Abends um 18.00 Uhr kamen 5 Wehrmachtswagen mit hohen deutschen Offizieren. Sie fuhren bis zur Schleuse und schickten dann einen Parlamentär zum Amerikaner. Als die Wagen schon wieder nach Braunschweig abgefahren waren, hiess es nach einer Stunde, die beiden Parteien haben sich nicht geeinigt. Es wurde bekanntgegeben, dass ab 20.00 Uhr die Stadt Braunschweig von den Amerikanern beschossen werden sollte, und alle Einwohner des Dorfes sich in die Keller zu begeben hätten. Wir trugen Betten und Esswaren in den Keller, abends pünklich um 20.00 Uhr fing dann der Beschuss an. Man konnte genau Abschuss und Einschlag verfolgen. Auch die deutsche Wehrmacht erwiderte von Braunschweig das Feuer, dabei wurden beide Schleusenkammern etwas beschädigt. Das kleine Haus vor der Schleuse und die Mühle wurden schwer beschädigt. Der Beschuss dauerte fast die ganze Nacht an. In der Nacht zum 11. April 1945 zogen sich dann die deutschen Soldaten zurück. Der letzte deutsche Soldat, den ich sah, stand auf der strasse an unserem Garten, die ganze Brust mit Auszeichnungen aller Art geschmückt, ein Infanterist. Es war ein trauriges Bild - ein trauriges Ende.

Am 11. April 1945 wurde unser Dorf plötzlich beschossen, ein Treffer bei Behme Nr.1 und einer in der Schule. Durch die Splitter wurde ein Franzose sowie ein Unbekannter getötet. Auch der Kirchturm blieb von Treffern nicht verschont. Ganz schief stand nun das Wahrzeichen von Wedtlenstedt. Beherzt nahmen nun Frau Toni Rickert geb. Geermann und Heinrich Behme Nr. 15 das Schicksal des Dorfes in ihre Hände. Sie eilten dem Amerikaner mit einer weissen Fahne entgegen, so dass dieser die Feindseligkeiten einstellte. Ungefähr gegen 10.00 Uhr morgens bezog der Amerikaner unser Dorf. Er war uns deutschen gegenüber sehr korrekt, wenn auch hier und da einmal eine Ausschweifung geschah. Die Amerikaner schlugen nun eine Notbrücke über die Schleuse, auf der der gesamte Verkehr nach Berlin über unser kleines Dorf hinwegrollte. Drei Wochen mussten nunmehr alle Männer bis zum 60. Lebensjahr strassen ausbessern. Verschiedene Häuser, unter anderen auch das Pfarrhaus mussten beim Einzug der Amerikaner geräumt werden. Als aber nach ca. 3-4 Wochen die Amerikaner abzogen, war es in unserem kleinen Dörfchen wirklich als herrsche ein himmlischer Frieden, kein Fliegeralarm und kein Schiessen mehr, alles atmete auf.

Im September 1945 kam Pastor Reimer als Flüchtlingspfarrer zu uns. Bis dann Herr Pastor Eisenberg aus Braunschweig am 13. Januar 1946 unser Pfarramt übernahm. Die Gottesdienste füllten sich zur Freude wieder mehr und mehr. Jahrelang fanden die Gottesdienste im Pfarrhaus statt, bis unsere Kirche wieder neue Fenster hatte. Bei der Einweihung der ausgebesserten Kirche war sie von vorn bis hinten voll besetzt. Welche Freude für den Pastor und seine Getreuen. Durch den zweiten Weltkrieg mussten nun so viele Deutsche ihre geliebte Heimat verlassen, Schlesier, Pommern, Ostpreussen usw. Am 5. Dezember 1945 traf in unseren Dorf der erste Flüchtlingstransport von 50 Personen ein. Durch die weiterfolgenden Flüchtlinge hatte sich unsere Einwohnerzahl auf 687 Bürger erhöht. Am 24. September 1949 verliess uns Pastor Eisenberg und ging nach Bortfeld. Der Samen, den Pastor Eisenberg in seelsorgerischer Arbeit ausstreute, fand nahrhaften Boden. Sein Nachfolger wurde Herr Pastor Bild, der schon vorher Herrn Pastor Eisenberg in Vechelde und Wedtlenstedt unterstützte, und daher nicht mehr unbekannt war.

Herr Pastor Bild mit seiner Familie ist auch Flüchtling aus Schlesien. Wir hoffen, dass sie bei uns eine dauernde Heimat gefunden haben. Ich bin Herrn Pastor Bild sehr dankbar, dass er mir Gelegenheit gibt, diesen Bericht über mein Heimatdorf Wedtlenstedt mit in den Kugelkopf des Kirchturmes hineinlegen zu dürfen.



Ursula Buchter geb. Burgdorf geb. 11. Januar 1922



Ein kleiner Überblick der zur damaligen Zeit von 1945 - 1948 üblichen Schwarzmarkt-Preise.

1 Pfund Brot5 Reichsmark
1 Pfund Butter200 Reichsmark
1 Pfund Speck400 Reichsmark
1 Pfund Rindertalg300 Reichsmark
1 Pfund Rindfleisch40 Reichsmark
1 Pfund Wurst50 Reichsmark
1 Pfund Kaffee500 Reichmark
1 Pfund Kakao600 Reichmark
1 Flasche Oel250 Reichsmark
1 Flasche Rübenschnaps180 - 200 Reichsmark
1 Ei5 Reichmark
1 Stückseife60 Reichmark
1 Rolle Nähgarn40 Reichmark
Anzugstoff2000 - 3000 Reichsmark
1 Paar Damenstrümpfe80 Reichsmark
1 Paar lange Stiefel2500 Reichsmark
1 Fahrrad2000 Reichsmark
1 Feuerstein5 Reichsmark



Diese Preise waren bedingt durch den Warenmangel, das Lebensmittelkartensystem und durch die Wertlosigkeit unserer Reichsmark. Am Tage der Währungsreform, den 20. Juni 1948, fand die Entwertung unseres Geldes statt. Es gab für alle ein Kopfgeld von DM 40.- und so waren wir alle für 24 Stunden gleich reich bzw. gleich arm. Über Nacht war auch der Warenmangel behoben. Es gab wieder alles, was das Herz nur begehren kann, zu kaufen. Aber jetzt fehlte das Geld. Die Ernährung des Deutschen Volkes ist jetzt wieder so gut geworden, dass die meisten Menschen schon wieder eine rundliche Fülle zeigen.



Die Gemeindedirektorin Lieselotte Bock geb. Jordan




Die Bäuerin Ursula Buchter geb. Burgdorf


Das Auge des Gesetzes Wachtmeister Wilhelm Kaidies